Theoretische Texte und Studienergebnisse finden Sie hier nicht. Stattdessen geben Ihnen an dieser Stelle lesbische, bisexuelle, schwule und trans* Jugendliche durch ausgewählte Filmbeiträge sowie Geschichten von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen einen Einblick in ihre Lebenssituation.

Lisa-Marie

Die erste große Liebe. Die einzige große Liebe?

Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in welchem das Thema Homosexualität nicht präsent war. Daher stellte sich innerhalb meiner Pubertät niemals die Frage, ob ich lesbisch sein könnte. Doch irgendwann war da dieses eine Mädchen, welches mir unerklärlicherweise nicht mehr aus meinem Kopf ging. Nach vielen Gesprächen und Treffen dann: der erste Kuss. Und jedes davor wahrgenommene Glücksgefühl wurde in den Schatten gestellt. Jeder gemeinsame Moment gehört zu den schönsten meines Lebens.
Nach all diesen schönen Momenten kam der Tag, als mir der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Trennung. Enttäuschung. Wut. Trauer.
Die schönen Erinnerungen, welche einen davor mit einer gewissen Leichtigkeit durchs Leben geführt haben, schmerzen nun. Man stellt die Beziehung in Frage und möglicherweise den gesamten Mythos „Große Liebe“.

Hätte man sich doch niemals darauf eingelassen – es nicht zugelassen sich in einer Person so sehr zu verlieren, dass man weder weiß, wo oben, noch unten ist und sein persönliches Glück nicht von einer anderen Person abhängig gemacht.

Ob letzteres in der Liebe möglich ist, sei dahingestellt. Für mich kann es kein größeres Glück geben, als zu lieben und geliebt zu werden.
Eines Tages werden die schönen Erinnerungen nicht mehr schmerzen, sondern einen bereichern. Es darf nicht die Enttäuschung und die Trauer über die Trennung im Fokus stehen, sondern die gemeinsame Zeit, welche man miteinander verbringen durfte, denn diese ist es, die einem keiner mehr nehmen kann.
Es ist somit eine Frage des Blickwinkels und des Umgangs – und auch wenn alles zuerst so sinnlos erscheint: Die erste große Liebe ist nicht die letzte große Liebe.

Lisa- Marie, 21Zurück nach oben

Dustin

Studienfahrt

Anfang der 12. Jahrgangsstufe ging es für die Hälfte von uns nach Spanien und für die andere nach Schottland. Ich war, mehr oder weniger freiwillig, bei der Schottland Gruppe dabei. Ein großer Vorteil war dabei, dass meine besten Freunde auch nach Schottland eingeteilt waren. Denn unsere Lehrer hatten sich nicht viele Gedanken um die Zimmerverteilung gemacht, sodass ich auf der Fähre mit der einzigen Person auf ein Zimmer gesteckt wurde, mit der ich unter keinen Umständen ein Zimmer bzw. eine Kabine teilen wollte. In meinem Jahrgang war ein wirklich streng gläubiger Muslime, welcher schon die Mädchen in unserer Stufe nicht als gleichberechtigt sah und mich wohl eher als eine Mischung aus Sünde und Gefahr oder einer Krankheit sah. Er teilte also meine Begeisterung, was die miserabel bedachte Aufteilung betraf. Was ich am Anfang gar nicht mitbekam war, dass er bereits auf dem Gang zu den Kabinen davon sprach, dass er mit der Schwuchtel des Jahrgangs zusammengesteckt wurde und ob er sich davon nie reinwaschen könne . . . Es gab einen lauten Knall und einige Mädchen in seiner Umgebung fingen -zu seiner Überraschung- an auf ihn loszugehen und ihn zu beschimpfen. Ich hörte nur Satzfetzen wie: Schäm dich . . . . Wie kannst du es wagen . . . . Du dreckiger B……
Es herrschte also beste Stimmung, was die Lehrer, die alles mit angehört haben was dort vor sich ging, erschreckender Weise überhaupt nicht interessierte. Zum Teil war ich belustigt, wie die Mädels reagierten. Zum Teil war ich jedoch auch beunruhigt, da ich ihn überhaupt nicht einschätzen konnte. Also beschloss ich die Nacht lieber bei einigen Mädels auf dem Fußboden zu verbringen, wo ich mich um einiges wohler fühlte, als in der zugewiesenen Kabine. Bei den meisten anderen wurde ich inzwischen akzeptiert, aber zu dem Zeitpunkt waren gerade die Jungs noch ein wenig abgeneigt. Das hat inzwischen zum größten Teil geändert. Die Rückfahrt verlief nicht viel anders, nur dass der eine seine Meinung für sich behielt und ich die Nacht fast mit einigen anderen durchgemacht habe.

Dustin, 18Zurück nach oben

Hannah

Schubladendenken

Ich bin so, wie ich bin und das ist auch gut so! Sich selbst zu finden ist bestimmt nicht die einfachste Aufgabe in Leben. Außerdem verändert man sich auch im Laufe des Lebens und muss sich gegebenenfalls neu finden. Das ärgerlichste ist eigentlich, wenn einem von anderen gesagt wird wie man ist und sein sollte:
Eine entfernte Bekannte gab mir letztens gut gemeinte Tips zu meinem Äußeren: „Als Frau kannst du doch nicht so ein Oberteil tragen – weißt du wie männlich das wirkt – und zieh doch mal nen Rock an das würde auch deine langen Beine betonen.“ Und wenn mir heute einfach nicht nach Rock ist – weil es kalt ist – dann darf ich höchstens typisch weiblich frieren, aber auf keinen Fall einen wärmenden Kapuzenpulli tragen, das ich mich dann unwohl fühle ist anscheinend egal. Hauptsache man sieht gut aus.

Letztens unter Freundinnen: „Den findest du süß – du stehst doch nicht auch auf Typen – bähh“. Wenn ich Tiere süß finde, heißt das ja auch nicht, das ich mir gleich was Sexuelles mit denen vorstelle. Und selbst wenn ich mir etwas mit dem Typen vorstellen könnte, habe ich ja niemanden gezwungen, es mir gleich zu tun.

Sein Blick fährt meinen Körper von unten nach oben ab – dann kuckt er mich von unten fragend an – ja ich bin 195 groß. Da müssen viele nach oben schauen – „Bist du eigentlich eine Frau oder ein Mann?“ Mir entweicht ein erschrecktes „Ich?“ daraufhin schiebt er mich in die Schublade Frau – „ahh Frau“ – naja wenigstens fühle ich mich in dieser Schublade wohl.

An alle, die sich jetzt noch immer fragen was ich bin sei gesagt, dass ich mich nicht mehr selbst in irgendwelche Schubladen schiebe – ich widerspreche nur noch, wenn ich etwas tun soll, weil ich in eine Schublade gehöre.

Hannah, 26Zurück nach oben

Jonas

Hallo allerseits!

Ich heiße Jonas, bin zwanzig Jahre alt und komme aus Gelsenkirchen. Mein Lieblingsessen ist nahezu alles und davon viel! Meine Lieblingsfarbe ist schwarz. Manche behaupten, schwarz sei keine Farbe. Ich bin leidenschaftlicher Pfadfinder. Außerdem höre ich gerne laut Musik und fahre außerdem gerne Auto. Was das mit meinem Coming Out zu tun hat? Woher soll ich das wissen?!
Ursprünglich wollte ich jetzt hier nur kurz mein Outing schildern, aber irgendetwas trieb mich zum Ausschweifen. Um sich zu outen, hat man sich lange mit der eigenen Sexualität auseinander gesetzt. Man hat Höhen und Tiefen erlebt, war sich unsicher. Doch irgendwann stand es dann für mich fest; ich bin schwul!
Um dies sicher zu wissen, vergingen bei mir viereinhalb Jahre. Viele in meiner Klasse hatten damals schon eine Beziehung gehabt, ich noch nicht. Ich dachte, dass ich vielleicht etwas mehr Zeit brauchen würde, als die anderen. Mädchen waren damals für mich genauso interessant, wie Jungs. Ich bin zum Glück so erzogen worden, dass es egal gewesen wäre, ob ich jetzt hetero-, bi- oder homosexuell bin. Das war, als ich dreizehn Jahre alt war. Mit vierzehn Jahren begann ich zu merken, dass ich mich seit einem Jahr bereits nicht für ein Geschlecht entscheiden konnte, welches ich nun attraktiver finden würde. Es war mir egal, welche sexuelle Orientierung ich hatte, ich wollte nur diese Unsicherheit loswerden, nicht zu wissen, auf welches Geschlecht ich nun stehe.
Dieser „Zustand“ hielt sich dann, bis ich zirka 16 ½ Jahre alt war. Mal glaubte ich auf Jungs zu stehen, mal ging die Tendenz wieder in Richtung Mädchen. Sicher war ich mir aber in dieser Zeit nie. Die dann folgenden drei Monate hatte ich andere Sachen im Kopf. Ein OP-Termin stand fest, was mich damals sehr unter Druck setzte. Nach der Operation hatte ich zwei Monate lang noch einen Krankenschein. Genug Zeit, um die Frage nach meiner sexuellen Orientierung wieder aufzunehmen. Und wenn man viel nachdenkt, schweift man auch ab. Das war das folgende Problem. Ich kannte keine homosexuelle Menschen, sondern nur die Klischees. Somit entstanden ganz viele Fragen.
Muss ich nicht eigentlich um schwul zu sein, nasal reden oder eine übertriebene Gestik haben? Muss ich mich nicht eigentlich figurbetont kleiden? Muss ich Schwänze in meinem Arsch gut finden? Würde ich irgendwann AIDS bekommen? Kurze Zeit später entstand die Gegenfrage. Warum denn?! Warum sollten homosexuelle Männer so sein? Klar, es wird irgendwo schwule Männer geben, die die Klischees erfüllen, aber muss ich das dann automatisch auch?
Diesen ganzen Haufen ordnete ich dann erst einmal. Ich ließ die Klischees Klischees sein, und begann auf mein Bauchgefühl zu hören. Denn je mehr man über etwas grübelt, desto unsicherer wird man sich dabei auch. Irgendwann fiel mir auf, dass ich mich die ganze Zeit über immer nur gefragt habe ob es möglich sein könnte, dass ich schwul bin. Dann drehte ich den Spieß um! Könnte es sein, dass ich hetero bin? Das war der Gedankengang, der mir gefehlt hatte! Mit 17 ½ stand es dann fest; ich bin schwul! Doch da waren immer noch die ganzen Klischees, in die ich nicht reinpassen wollte. So begann ich mir die Rollenbilder von Mann und Frau anzuschauen. Doch irgendwann legte sich bei mir ein Schalter um. „Scheiß auf Klischees und Rollenbild!“ Seit diesem Zeitpunkt gebe ich mir Mühe, ich selbst zu sein. Mittlerweile kann ich behaupten, hinter keiner Fassade mehr zu leben. Ich habe es nicht nötig, irgendwelchen Rollenbildern zu entsprechen! Ich bin ich! Und das zuzulassen war viel Arbeit, aber es lohnt sich. Es ging mir nie besser – ich muss mir nichts mehr vorspielen oder in andere Verhaltensmuster flüchten. Und genauso fühle ich mich jetzt frei!

Nun zu meinem Coming Out.
Kurz bevor ich 19 wurde, Mitte April 2011, das war gut 1 ½ Jahre vor dem nicht erfolgten Weltuntergang am 21.12.2012, bin ich das erste Mal ins schwul-lesbische Jugendzentrum bei mir in Gelsenkirchen gegangen. Das war zu dem Zeitpunkt eher mäßig besucht. Trotzdem kam ich mir von Anfang an dort gut aufgehoben vor. Mit Wibke, der Leiterin begann ich dann auch recht zügig, mein Coming Out bei meiner Mutter zu planen. Ich habe das Problem, mir unangenehmen Situationen auszuweichen. Also musste was her, damit ich nicht ausweichen konnte.
Nach einigen Ratschlägen und Gesprächen stand die Vorgehensweise fest: Man schnappe sich Flyer, Zeitschriften und Broschüren mit einem eindeutig schwulen Inhalt und tapeziere das komplette Bett meines Zimmers damit. Der Plan musste aufgehen, da in meinem Zimmer ein Wandschrank ist, an den meine Mutter im Normalfall mehrmals am Tag dran muss. Dazu muss sie an meinem Bett vorbei. Also hab ich das ganze Zeug auf dem Bett ausgebreitet und Hals über Kopf die Wohnung verlassen! Ich wohne bei meinem Vater. Und wenn wir uns zoffen gilt die ungeschriebene Regel „ich fahr zu Mama“. So war es auch an diesem Abend. Um halb zwölf in der Nacht mache ich die Haustür meiner Mutter auf. Die habe ich geweckt und sie wankte mir schlaftrunken entgegen. Warum ich so spät noch bei ihr auftauchen würde, hat sie gefragt. „Hab mich mit Papa gestritten, hast du es schon gesehen?“ Sie erkundigte sich nach dem Streit. Ich, völlig angespannt: „Der Streit war nicht so schlimm. Hast du es schon gesehen?!“ „Was soll ich gesehen haben?“ „Warst du schon in meinem Zimmer?!“ „Nein, warum sollte ich in dein Zimmer gehen?“ Mit einer Geste wies ich ihr den Weg in mein Zimmer. „Was soll ich denn jetzt hier sehen?“ fragte sie. Sie war immer noch sehr verschlafen und ähnelte einer Schnapsleiche im Nachthemd mit Falten im Gesicht und gesprengter Frisur, nur das der Alkoholpegel fehlte. Ich gab ihr den Tipp, einen Blick auf mein Bett zu werfen. Sie ging zum Bett und schnappte sich eine Zeitschrift, schaute sie sich an, begriff aber so verschlafen nichts. „Was ist das?“ „Schau sie dir doch mal genau an!“ Dann begriff sie und fiel mir mit den Worten „ist doch nicht schlimm“ um den Hals. Besser hätte es nicht laufen können!

Jonas, 20Zurück nach oben