Die LSBTI*-Bewegung blickt dieses Jahr auf eine 50jährige Geschichte zurück. Die Ausschreitungen nach einer Polizeirazzia auf die beliebte Bar „Stonewall Inn“ am 28. Juni 1968 gelten als Initialzündung für die Befreiungsbewegung von LSBTI* in der modernen Geschichte. Seither hat sich die Position von LSBTI* stark zum Positiven gewandelt und rechtliche sowie gesellschaftliche Diskriminierung wurde teilweise abgebaut.

In der Jugendarbeit ist es aber häufig nicht so wichtig, was vor 50 Jahren irgendwo in New York passiert ist, sondern das, was Menschen unmittelbar bewegt. Deshalb möchten wir mit diesem Plakat, anders als sonst, Sie als Fachkraft auffordern auf die eigene Geschichte zu schauen und sich an eigene LSBTI*-Geschichte(n) zu erinnern. Was haben Sie aus Begegnungen mit LSBTI* mitgenommen? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Über was mussten Sie sich mehr oder weniger Sorgen machen? Worüber wollen Sie eventuell noch mehr erfahren?

LSBTI*-Gechichte(n)

Wer die Methodenplakate kennt, erwartet eine Methode, die so oder abgewandelt in der Jugendarbeit umsetzbar ist. Nicht so in diesem Jahr. Wir möchten Sie als Fachkräfte der Jugendarbeit / Jugendhilfe dazu auffordern eine eigene LSBTI*-Geschichte aus dem beruflichen Kontext aufzuschreiben. Egal ob sie schon 10 Jahre her ist oder erst 2 Wochen, egal ob es ein kurzer Moment oder eine lange Geschichte ist, egal ob souverän oder irritiert reagiert wurde. Gerne möchten wir die Geschichten –natürlich anonymisiert– veröffentlichen. Andere Fachkräfte können so an den Erfahrungen der Kolleg_innen teilhaben, sich Inspiration holen oder gegebenenfalls auch feststellen, dass es anderswo auch Unsicherheiten gibt.

Sie können die LSBTI*-Gechichte natürlich auch mit den Besuchenden teilen und diese auch auffordern ihre Begegnungen / Erlebnisse mit LSBTI* zu erzählen.

Schicken Sie ihre eigene Geschichte an: fachberatung@gerne-anders.de mit dem Betreff LSBTI*-Geschichte. Wir werden die Geschichten Stück für Stück auf www.gerne-anders.de anonymisiert veröffentlichen.

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Von Fachkräften für Fachkräfte

Stadt oder Land

Im Rahmen meiner Tätigkeit in der Mobilen Jugendarbeit lernte ich einen Jungen (damals 16) kennen, der mir berichtete, dass seine Mutter mit der Familie in ein kleines Dorf im Norden ziehen wolle. Er wünschte sich von mir Unterstützung bei der Idee, mit seinem erwachsenen Bruder hier bei uns in der Stadt bleiben zu können.

Während eines Gesprächs mit der Mutter fiel mir schließlich auf, dass sie, wenn sie aufgeregt war, ihren Sohn mit einem Mädchennamen ansprach. Als ich dies hinterfragte, öffnete sich eine ganz neue Seite der Geschichte, die für die Familie aber gar nicht so sehr im Fokus stand.

J. hatte sich vor gut einem Jahr als transsexuell geoutet.

Ich hatte tatsächlich bis dahin wenig Berührungspunkte insbesondere zu Trans*Personen.

Seine Mutter unterstützte ihr Kind dabei so gut es ging. Ich bewunderte von Anfang an den offenen, lockeren Umgang der ganzen Familie mit der Situation. Dennoch hing die Verweigerung bzgl. des Umzugs natürlich besonders mit der Angst zusammen, wie er in dem kleinen Dorf, an einer neuen Schule aufgenommen werden würde.

Durch die Begegnung mit J. wurde ich für das Thema LSBTI* sensibilisiert und habe mich viel damit beschäftigt und fortgebildet.

Und sicher nicht ganz zufällig habe ich seither mehr Kontakt zu LSBTI*-Jugendlichen.

J. ist übrigens mit seiner Familie weggezogen, hat die Schule super gemeistert, eine Lehre angefangen, eine Hormontherapie begonnen,… und vor einer Woche seine Freundin geheiratet J!

Keine 15 Minuten später

Ich habe die Plakate „schwul oder was?!“ / „lesbisch oder was?!“ in den Innenseiten der Toilettenkabinen aufgehängt. Keine 15 Minuten später kam ein Jugendlicher, den ich wirklich gut und lange kenne zu mir und meinte: “Ich glaub, wir müssen mal reden…“. Er war ganz glücklich, dass er jetzt endlich mit jemandem über sein schwul-sein sprechen kann, vorher hat er sich nicht getraut. Er hatte zwar gehofft, dass ich positiv reagieren würde, war sich aber nicht nicht zu 100% sicher. Das Plakat war für ihn das Ausschlag gebende Zeichen, dass er auch mit diesem Thema zu mir kommen kann.

Ich hätte das nie für möglich gehalten. Ich war mir immer sicher, dass meine Haltung allen klar ist – dem war wohl nicht so. Mit dem Plakat bin ich aktiv geworden, was dem Jugendlichen die Sicherheit gegeben hat, mit mir kann er reden.

LSBTI* als Gesprächsthema

Bei dem Versuch verschiedene Lebens- und Liebesweisen als Gesprächsthema im Offen Treff zu platzieren, ist mir bewusst geworden, wie unsicher ich mit den Themen eigentlich noch bin.

Dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, ist für unsere Besuchenden nicht vorstellbar, auch nicht, dass es Menschen gibt, die sich in ihrem zugewiesenen Geburtsgeschlecht nicht wohlfühlen. Das liegt außerhalb ihrer Vorstellungskraft und ist im besten Fall krank und muss behandelt werden.

Das es Menschen gibt, die nicht heterosexuell sind ist ihnen bekannt (schwul / lesbisch). Allerdings wird auch das als unnormal bewertet.

Was mich aber am meisten hat aufhörchen lassen, bin ich selbst. Ich hätte gedacht, dass meine Argumente in der Diskussion besser greifen und ich „länger durchhalte“. Gegen die Behauptungen „das verbietet Gott / Allah“ und gegen „das ist voll unnatürlich, weil die keine Kinder kriegen können“ bin ich schwer angekommen und habe mir stärkere Gegenargumente gewünscht bzw. Fragen wie „wo steht das denn in der Biebel / im Koran?“ oder „ist denn das Kinder bekommen der einige Grund, warum Menschen zusammen sind? Was ist mit denen (Heteros), die gar keine Kinder bekommen wollen oder können?“ Oder im Bereich Trans* die Frage „Woher weißt du denn, dass du ein Mädchen / eine Frau bist – abgesehen von der Biologie?“

Ich übe und bleibe dran!

Konsens im Team?

Nach einer Fortbildung von „gerne anders!“ habe ich recht begeistert die Themen sexuelle Vielfalt und geschlechtliche Identität ins Team getragen. Ich habe mich schon während des Studiums mit Gender-Studies auseinandergesetzt und habe großes Interesse daran. Im Team war die Begeisterung nicht ganz so groß und wenn ich da was machen wollte würde mich ja niemand daran hindern. Mein Verständnis davon, dass bei einem so sensiblen Thema wie Identitätsbildung zu dem sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zählt, das Team einen gemeinsamen Konsens finden muss, teilten nicht alle Kolleg*innen. Einige befürchteten auch, dass gerade bei dem Thema sexuelle Orientierung das Thema Sexualität in den Vordergrund rücken würde und es den Jugendlichen (besonders den männlichen) nur darum ginge einen Anlass für Albereien zu finden. Ich bleibe dran und „nerve“ alle mit dem Thema, bis es „normal“ ist.

Vielfalts-Mobile

Ich arbeite in einem Jugendcafé in einem kleinen Ort am Niederrhein. Als ein neuer Jugendlicher in unsere Einrichtung kam, der sich bereits früh als schwul outete war die Aufregung besonders unter den anderen Jungs groß. Die Frequenz von „Schwuchtel“ und „schwule Sau“ stieg erheblich an und ich fragte mich, wie ich damit umgehen sollte. Ich versuchte das Thema sexuelle Vielfalt immer wieder mit Jugendlichen anzusprechen und letztendlich gestalteten wir ein Vielfalts-Mobile, mit Definitionen von verschiedenen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Dabei wurde mir immer wieder klar, wie wenig ich doch über das Thema wusste. Was ist pansexuell? Heißt trans* jetzt transsexuell? Was ist mit non-binary gemeint? Und wo ist der Unterschied zu trans*? Gibt es überhaupt einen? Wie konnte ich ernsthaft mit Jugendlichen darüber reden, wenn ich selbst nicht genau wusste, um was es geht? Nach vielen Stunden vor Googel habe ich zwar viel gelernt (auch, dass sie Definitionen sich manchmal sehr unterscheiden) aber ich komme trotzdem manchmal noch ins Schwimmen. Vor allem, wenn ich versuche mit Jugendlichen Vorurteile zu brechen. Ich sehe immer wieder, wie weitreichend das Thema ist und wie wichtig es ist darüber zu reden – nicht nur für die Menschen die schwul, lesbisch, bi, pan oder trans* sind, sondern für alle, um den Horizont zu erweitern.

Gender-Bread

Bei einer Fortbildung von „gerne anders!“ haben wir das „Gender-Bread-Person“ kennengelernt. Wir haben uns entschieden das Bild in unseren Jugendwerkstätten aufzuhängen. Erst ist es gar nicht beachtet worden. Irgendwann hat dann jemand aus Langeweile drauf geguckt. Das Thema wurde aufgeregt diskutiert – es gibt mehr als nur Männer und Frauen? Keine Woche später haben sich zwei Jugendliche bei Mitarbeitern geoutet, einige Zeit später dann auch ein Trans*junge. Eigentlich wäre es ihm schon lange klar gewesen, das er ein Junge ist. Durch das „Gender-Bread-Person“-Bild hatte er plötzlich Worte und vor allem nicht mehr das Gefühl völlig „durchgeknallt“ (Zitat) zu sein.

Wichtiges Thema in der Arbeit mit Jugendlichen!!

Darf sie bleiben?

Ich arbeite mit psychisch kranken Jugendlichen im betreuten Wohnen. Vor einem Jahr hat sich ein oft schwieriger Jugendliche einem Kollegen gegenüber als Mädchen geoutet. Im Team hatten wir danach viele Diskussionen, manche waren meiner Meinung nach auch grenzwertig. So wurde unter anderem in Frage gestellt, ob sie ihr Outing ernst meint oder nicht. Ich konnte es kaum glauben, dass sogar vorgeschlagen wurde, ihren Aufenthalt bei uns abzubrechen, da sich niemand mit dem Thema auskennt. Das war bestimmt nicht böse gemeint. Aber: eine Klientin hatte sich uns gegenüber geöffnet und jetzt sollte ihr, jegliche Hilfe verweigert werden weil Berührungsängste bestehen und sich „keiner damit auskennt“? Unglaublich!

Ich habe dann bei „gerne anders!“ angerufen und mich intensiv beraten lassen, was mir auch in meinen Unsicherheiten sehr weitergeholfen hat. Außerdem konnte ich recht zügig eine Fortbildung für das Team organisieren. Seither hat sich die Situation völlig gedreht. Wir nehmen die Klientin in ihrem Bemühen ein Mädchen zu sein ernst und unterstützen sie. Sie wurde viel ausgeglichener und es ist angenehm mit ihr zu arbeiten. Wir sind immer noch keine Experten im Bereich trans* aber das müssen wir auch gar nicht sein – die Jugendlichen sind es ja.