LSBTI*- Bewegung(en)
LSBTI*- Bewegung(en) sind seit vielen Jahren erfolgreiche Bewegung(en). Bewegung(en), die in den letzten 50 Jahren für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI*) viel erreicht haben. 50 Jahre deshalb, weil sich in 2019 zum 50. Mal die Stonwall-Aufstände in der Christopher Street in New York jähren, bei denen sich die Besuchenden des Stonewall-Inn den willkürlichen Polizeirazzien widersetzten. Für viele aus der LSBTI* Community ist Stonewall der Beginn der Befreiungsbewegung, der Anfang im Kampf um Entkriminalisierung, um Aufklärung über vielfältige Lebens- und Liebesformen, um Sichtbarkeit von Vielfalt außerhalb von Heteronormativität, um Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit. Die Bewegung(en) von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und inter* Menschen waren und sind auch noch heute Bewegung(en), die stark auch von jungen Menschen geprägt und gestaltet werden.
Junge Menschen waren und sind aktiv an den Bewegung(en) beteiligt, weil es sie direkt und unmittelbar betrifft. Mit ungefähr 13 Jahren stellen lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche zum ersten Mal fest, dass sie eventuell anders empfinden als viele Gleichaltrige. Mit ca. 16 Jahren sind sie sich selber ziemlich sicher, dass sie lesbisch, schwul oder bisexuell sind (inneres Coming-Out). Das Wissen über das eigene Empfinden bedeutet allerdings nicht, dass diese Empfindungen auch als positiv angenommen werden müssen. Erst recht nicht, wenn sie gelernt haben, dass schwul-sein / lesbsich-sein irgendwie falsch ist. Viele Jugendliche reagieren mit Gegenwehr, Scham, Schuldgefühlen, heterosexueller Anpassung oder auch Angst vor Entdeckung auf ihr so-sein. Viele beschäftigen sich mehrere Jahre mit der eigenen sexuellen Orientierung bevor sie zum ersten Mal mit einer anderen Person (äußeres Coming-Out meist mit ca. 18 Jahren) über ihre Empfindungen sprechen. Die Bewertung von lesbisch, schwul und bisexuell als etwas anderes, nicht normales, falsches oder gar krankem, macht es Jugendlichen häufig schwer, unbeschwert und frei mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen. Auch das Nicht-Thematisieren von sexuellen Orientierungen hilft Jugendlichen nicht weiter, denn so wissen sie nicht, welche Einstellung / Haltung andere zu vielfältigen Orientierungen haben. Das ist ein Unsicherheitsfaktor, der auch bei jedem Outing eine Rolle spielt. Lesben, Schwule und Bisexuelle outen sich lebenslänglich immer dann, wenn sie auf neue Personen treffen. Sie stellen sich die Frage, nach dem ob, dem wann und dem wie. Übrigens: auch Heterosexuelle outen sich, sie merken es nur nicht. Erzählt beispielsweise eine Kollegin, dass sie am Wochenende mit ihrem Mann im Kino war, ist das ein Outing. Eine Reaktion darauf, dass sie mit ihrem Mann unterwegs war, gibt es in der Regel nicht. Erzählt ein Kollege, dass er mit seinem Mann im Kino war, kann er nicht wissen, wie die Reaktionen auf sein Outing ausfallen werden und eine Reaktion wird es in den meisten Fällen geben.
Für trans* Personen gestaltet sich das Coming-Out häufig anders. Manche berichten davon, dass sie schon immer gewusst haben, welches Geschlecht sie haben, auch wenn ihr Körper nicht zu ihrer Geschlechtsidentität passt. Andere können ihre Empfindung erst im Erwachsenenalter benennen, was ein Leben im empfundenen Geschlecht nicht einfacher macht, weil die Transition (die Angleichung des Geschlechts an die eigene Identität) als Erwachsene_r häufig recht schwierig ist, besonders von Mann-zu-Frau. Einige körperliche Veränderungen, wie z.B. der Stimmbruch, sind schwer veränderbar – Hormone können geben (tiefe Stimme) aber nicht nehmen (Stimmbruch nicht rückgängig machen). Auch sind gegebenenfalls andere Personen wie Ehepartner oder Kinder einer Situation ausgesetzt, mit der sie schwer umgehen können.
Inter* Menschen wissen oft gar nicht, dass sie inter* zur Welt gekommen sind. Häufig werden an Kindern, bei denen bei der Geburt (nach den heute geltenden biologischen / medizinischen Kriterien) nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob sie Junge oder Mädchen sind, geschlechtskorrigierende Operationen vorgenommen. Diese Operationen müssen keine medizinische Indikation haben und nicht immer wissen die Menschen von diesen Operationen, sie wissen also gar nicht, dass sie inter* geboren sind. Wenn sich die Geschlechtsidentität mit dem korrigierten Geschlecht deckt, gibt es keine Diskrepanz. Liegt allerdings eine Geschlechtsdysphorie vor, kommt es für die Betroffenen zu Schwierigkeiten.
Warum beteiligen sich gerade junge Menschen an LSBTI* Bewegungen?
L S B T* und I* haben, wie alle anderen auch, gelernt, dass es (nur) zwei Geschlechter gibt und dass diese beiden sich gegenseitig anziehen, begehren und sie sich ineinander verlieben. LSBTI* wachsen in einem von Heteronormativität geprägtem Umfeld auf und sie stellen häufig als Jugendliche fest, dass sie nicht in dieses Umfeld passen. Das anders-sein wird bei Jugendlichen also meistens erstmalig und besonders relevant. Sie stellen fest, dass sie in der Gesellschaft an Grenzen oder gar auf Ablehnung stoßen. Um hieran etwas zu verändern, verbinden sie ein sehr persönliches Anliegen mit dem Willen etwas zu verändern. Nein, sie wollen nicht anders behandelt werden als andere! Nein, sie wollen nicht pathologisiert oder kriminalisiert werden! Nein, sie wollen nicht, dass Gerichte über ihre geschlechtliche Identität entscheiden. Nein, sie wollen nicht durch medizinische Maßnahmen im Kindesalter in ein Geschlecht gedrängt werden. Aus diesen Neins heraus entstand und entsteht Aktivismus.
Die LSBTI*-Bewegung(en) sind, weil sie immer auch irgendwie que(e)r der Norm laufen, oft auch ein wenig schrill, was für progressive junge Menschen sehr attraktiv ist. Hier können sie sie-selbst-sein und müssen sich nicht verstecken oder Bedenken / Ängste vor Beschimpfungen, Ausgrenzungen und / oder Diskriminierung haben und können sich für die eigenen Rechte stark machen. Junge Menschen erleben in LSBTI*- Subkulturen Lebensweisen und Vielfalt, die sie für sich selbst, aber eben auch für andere, für die gesamte Gesellschaft, als erstrebenswert halten.
Bei den gemeinsamen Zielen von LSBTI* geht es in der Regel um Selbstbestimmtheit, Akzeptanz von Vielfalt, den Respekt vor unterschiedlichen Lebens- und Liebesweisen, es geht darum Heteronormativität sichtbar zu machen und diese aufzubrechen.
Allerdings sind LSBTI* keine homogene Gruppe. Es stecken unterschiedliche Ziele, Erwartungen und auch unterschiedliche Geschichten hinter den jeweiligen Gruppierungen, die wiederum in sich auch nicht homogen sind.
So ging es in der Schwulenbewegung ursprünglich in erster Linie um die Abschaffung des §175 StGB (Kriminalisierung von männlicher Homosexualität), ein Gesetz von dem z.B. lesbische Frauen nicht betroffen waren. Lesben hingegen haben sich, häufig als Teil der Frauenbewegung, für (körperliche und sexuelle) Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Geschlechter stark gemacht. Für trans* Menschen steht die Anerkennung des identitären Geschlechts und die selbstbestimmte Wahl des Geschlechts im Vordergrund. Bis jetzt entscheidet ein Gericht auf der Grundlage von psychologischen Gutachten über das Geschlecht einer trans* Person, nicht sie selbst. Inter* Personen setzen sich gegen fremdbestimmte geschlechtskorrigierende Operationen im Kindesalter ein. Für sie ist es wichtig, dass divers nicht nur eine Möglichkeit des Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde ist, sondern dass Geschlecht mehrdimensional gedacht wird, es also selbstverständlich ist, dass es nicht nur Jungen und Mädchen / Männer und Frauen gibt.
Diese Vielfalt führt selbstverständlich auch dazu, dass sich insgesamt mehr Menschen von einzelnen Zielen der Community(s) angesprochen fühlen und sich beteiligen, so dass die Bewegung insgesamt wächst und vielfältiger wird.
So unterschiedlich die Beweggründe der Community(s) auch sind, LSBTI* passen nicht in ein heteronormatives System. Sie stoßen an Grenzen denen sie mit einem Nein begegnen und daraus die Motivation für ihren Aktivismus ziehen.
Wie bewegt LSBTI*?
Anfänglich waren Demonstrationen das Mittel der Wahl, Menschen gingen auf die Straße und machten ihre Standpunkte sichtbar. So haben sich beispielsweise, angefangen bei den Straßenschlachten vor dem Stonewall Inn 1969, inzwischen immer bunter und vielfältiger werdende CSDs auf der ganzen Welt formiert. Auch die Digitalisierung hat sich gerade für die jüngeren LSBTI* Aktivist_innen bezahlt gemacht. Informationen, Forderungen, Ideen – alles kann sich viel schneller verbreiten, Menschen kommen viel schneller in Kontakt, können sich austauschen, gemeinsam Aktionen planen, auch wenn sie an unterschiedlichen Enden der Welt leben.
Was den Bewegung(en) einen neuen Impuls gegeben hat ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Die „Queer Theory“, entstanden aus der Geschlechterforschung, stellt Heteronormativität als gesellschaftliche Grundlage in Frage. Somit findet die Bewegung nicht nur im Alltag und auf den Straßen statt, sondern auch in Fachliteratur und Fachdiskursen. Während u.a. die Auseinandersetzung mit der Dekonstruktion von Geschlecht einerseits eine gegenseitige Bereicherung ist, sorgt diese Vermischung von Wissenschaft und Aktivismus auch regelmäßig für Schwierigkeiten und Unschärfen. Detaildiskurse mit wissenschaftlichen Sprachcodes sind außerhalb von akademischen Kreisen auch innerhalb der Community(s) schwer oder nicht mehr verständlich. Ohne eine intensive Beschäftigung mit diesen Diskursen, ist es fast nicht möglich diesen zu folgen, besonders nicht für Personen, die noch wenige oder keine Berührungspunkte mit der Thematik haben und hatten. Wenn die Allgemeinheit aber abgehängt wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit LSBTI* Themen als gesellschaftliches Querschnittthema auseinandersetzt eher gering. Aber genau das ist ja das Ziel – LSBTI* soll kein Sonderthema für einen Teil der Gesellschaft sein. LSBTI* soll ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sein und Perspektiven für alle öffnen.
Wie kommen junge Menschen in Bewegung?
Als einzelne Person etwas zu erreichen ist meist schwieriger als sich mit anderen zusammen auf den Weg zu machen. Es braucht also einen Ort, an dem sich Menschen treffen können, die gleiche oder ähnliche Ziele haben. Die LSBTI* Jugendarbeit ist so ein Ort, ein Ort, der junge Menschen miteinander in Kontakt bringt, Diskussionen und gemeinsames Agieren ermöglicht und junge Menschen in ihrem jeweiligen Engagement unterstützen kann. Hier ist es wichtig, dass auch über den eigenen Tellerrand hinaus geschaut wird und sich nicht immer alles nur in der eigenen LSBTI*-Blase bewegt. Die Aufgabe der Fachkräfte besteht auch darin, die Vielfalt ihrer Zielgruppen sowohl in politischen Grundhaltungen als auch Interessen anzuerkennen und ein möglichst breites Spektrum abzudecken. Sie müssen in der Lage sein selber Diskrepanzen auszuhalten und junge Menschen darin zu unterstützen, dass sie trotz unterschiedlicher Haltungen und vielleicht auch unterschiedlicher Ziele respektvoll und möglichst solidarisch miteinander umgehen. LSBTI* Jugendarbeit muss hier den Rahmen für offenen Diskurs und Vielfalt bereitstellen und jungen Menschen die Möglichkeit bieten sich für ihre Interessen einzusetzen.
Was kann allgemeine Jugendarbeit für LSBTI* bewegen?
Nicht nur die LSBTI* Jugendarbeit unterstützen ihre Besuchenden sich für Vielfalt und Akzeptanz einzusetzen. Auch in der allgemeinen Jugendarbeit entwickeln junge Menschen Aktivismus, meist auch deshalb, weil sie Nein sagen – Nein zu eigenen Ausgrenzungserfahrungen, die sie häufig selbst aus unterschiedlichen Gründen gemacht haben. Sei es aufgrund ihrer Herkunft, Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, Behinderung oder sie werden als beispielsweise zu groß, zu klein, zu dick oder zu dünn an den Rand gedrängt. Hier kann Jugendarbeit den Aktivismus junger Menschen fördern und unterstützen und sich die Frage stellen, ob LSBTI* als Que(e)rschnittsthema mitgedacht wird. Besonders vor dem Hintergrund, dass LSBTI* nicht für alle zum Alltag gehören. Strukturen und Einrichtungen der Jugendarbeit können hier beim Sichtbarmachen helfen, in dem sie z.B. den 17. Mai (Internationaler Tag gegen Homo- und Trans*phobie) thematisieren oder die Termine der umliegenden CSDs aushängen, vielleicht auch einen CSD besuchen oder LSBTI* immer mal wieder zum Gesprächsanlass nehmen. Optimal ist hier die Zusammenarbeit mit einem LSBTI* Jugendtreff, wenn es einen in der Nähe gibt.
Ein Nein ist also nicht immer nur eine Abwehrhaltung, ein Nein kann auch der Anfang sein sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinander zu setzen, Gleichgesinnte zu finden um sich für gemeinsame Ziele einzusetzen und Dinge zu verändern.
Wibke Korten, Dipl.Soz.Päd. FH
Fachberaterin „gerne anders!“