Am Freitag, dem 12. April 2024 hat der Bundestag in 2. und 3. Lesung das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) verabschiedet. Es wird ab dem 01. November 2024 das Transsexuellengesetz (TSG) ersetzen.
Der Verabschiedung durch den Bundestag ist eine längere gesellschaftliche Debatte rund um geschlechtliche Selbstbestimmung vorangegangen. Das TSG hat sehr strikt durch ein gerichtliches Verfahren mit verpflichtenden Gutachten eine hohe Hürde für die rechtliche Änderung von Namen und Geschlecht im Personenstandregister gesetzt. Diese war neben dem Kontext von Zwangsbegutachtung und damit einer Fremdbestimmung als auch durch hohe Kosten (ca. 2.000 € – 3.000 €) für trans* Menschen immer weiter abgelehnt worden. Das TSG ist 1981 durch eine vorherige Beschlussfassung des Bundesverfassungsgerichts durch den damaligen Bundestag verabschiedet worden. In den letzten 20 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder Teile des Gesetzes als verfassungswidrig außer Kraft gesetzt und so über die Jahre massivst entkernt.
In der gesellschaftlichen Debatte sind oft Fragen von Übereilung sowie den Schutz von Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und die Aushöhlung von Elternrechten auf der anderen Seite im Kontext des Kinder- und Jugendschutzes thematisiert worden. Weitere Argumente waren, dass bspw. das Geschlecht „weiblich“ abgeschafft wird sowie Frauenräume wie Toiletten oder auch Frauenhäuser nicht mehr sicher seien. Sehr vereinzelte Vorfälle hat es in anderen Ländern gegeben, die zur Bekräftigung der Argumente dieser Haltung herangezogen worden sind.
Das Selbstbestimmungsgesetz sieht vor:
– Das mit dem SBGG ausschließlich die rechtliche Änderung von Namen und Geschlecht geregelt ist, also keine medizinischen Maßnahmen gesetzgeberisch geregelt wurden.
– Die gesetzliche Regelung können alle Menschen in Anspruch nehmen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.
– Kinder (bis zum 14 Lebensjahr) können nicht selbst eine Änderung des Vornamens und Personenstandes beantragen, dies müssen gesetzliche Vertreter*innen (i. d. R. die Eltern des Kindes) umsetzen.
– Jugendliche (14-18 Jahre) können selbst die Änderung des Vornamens und Personenstandes beantragen. Die gesetzlichen Vertreter*innen (i. d. R. die Eltern des Jugendlichen) müssen dem zustimmen. Falls sie dem nicht zustimmen, kann, wenn es dem Kindeswohl förderlich ist, die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter*innen durch eine Entscheidung des zuständigen Familiengerichts ersetzt werden. Dies stellt im Familiengericht eine gängige Praxis dar und insbesondere wird dies schon jetzt bei Inobhutnahmen durch das Jugendamt und einer Ablehnung eben jener durch die gesetzlichen Vertreter*innen umgesetzt.
– Kinder und Jugendliche sollen bei einer Änderung des Vornamens und Personenstandes eine Erklärung abgeben, dass sie eine Beratung, durch z. B. öffentliche oder freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe, durchlaufen haben.
– Zwischen dem Antrag auf Änderung beim zuständigen Standesamt und dem tatsächlichen Termin müssen drei Monate Zeit liegen. Dies soll einer Übereilung in dieser Entscheidung durch betroffene trans*, inter* und nicht-binäre Menschen zuvorkommen. Anschließend hat die Person drei Monate Zeit um die Änderung durchzuführen, ansonsten verfällt der Antrag.
Diese Regelung wird von Betroffenen und Verbänden als bevormundend angesehen.
– Bei Volljährigen besteht eine Sperrfrist von einem Jahr. In diesem Jahr kann keine erneute Änderung des Vornamens und Geschlechts vollzogen werden. Bei Kindern und Jugendlichen besteht diese Sperrfrist nicht.
– § 6 SBGG ist in der gesellschaftlichen Debatte als Hausrechtsparagraf geprägt worden. Wenige Frauenverbände haben auf eine solche Regelung bestanden, um Frauenräume zu schützen. Die Grenzen dieses Paragrafen in Zusammenspiel mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird in Zukunft wahrscheinlich durch Gerichte geklärt werden müssen. Betroffene und Verbände haben diesen Paragrafen als trans*feindlich bezeichnet.
– Für Quotenregelungen gilt der Personenstand zum Zeitpunkt der Wahl.
– § 9 SBGG stellt klar, dass im Spannungs- oder Verteidigungsfall keine Änderung des Personenstandes und Vornamens von einem männlichen in einen anderen möglich ist. Auch dieser Paragraph wird von Betroffenen und Verbänden kritisch gesehen.
– Es besteht ein Anspruch auf Neuausstellung von Dokumenten nach einer Änderung des Vornamens und Personenstandes. Der Umfang der Dokumente wird in § 10 SBGG geregelt.
– Das Abstammungsrecht, bzw. das Eltern-Kind-Verhältnis, wird in § 11 SBGG neu geregelt. Dies ist eine Übergangslösung bis zur Reform des gesamten Abstammungsrechts.
– Das Offenbarungsverbot, das Ausforschen sowie Veröffentlichen des alten Vornamens und Personenstandes, ist ohne Zustimmung der betroffenen Personen nicht gestattet, außer es liegen z. B. Gründe für ein öffentliches Interesse vor. Auch Verwandte sind daran gebunden, wenn sie absichtlich schädigende Absichten damit verfolgen. §§ 13, 14 SBGG regeln dies und es ist ein Bußgeld in Höhe von bis zu 10.000 € möglich.
Das SBGG wird von vielen der trans*, inter* und nicht-binären Community ausdrücklich begrüßt, da es substanzielle Besserungen für die Lebenssituation von trans*, inter* und nicht-binären Menschen vorsieht. Jedoch wird auch nachhaltige Kritik zu dem Gesetz öffentlich thematisiert. Die Zukunft wird zeigen, an welche Grenzen das SBGG, AGG und weitere Rechtsvorschriften stoßen werden.
Disclaimer
* Die Autorin gehört selbst der trans*, inter* und nicht-binären Community an. Es ist versucht worden, den Artikel aus neutraler Perspektive und durch Sachinformationen zu verfassen. Eine Bewertung einzelner Rechtsvorschriften kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden.